Lohnen Lebensversicherungen noch?

Lebensversicherungen lohnen sich nicht mehr so gut für die Altersvorsorge wie früher
© Yuri Arcurs / Hemera / Thinkstock

Wie würden Sie reagieren, wenn Tausende Euro weniger auf dem Konto landen, als erwartet? Sauer? Vermutlich schon. Besonders, wenn das Kapital eigentlich dazu gedacht war, den Lebensabend zu versüßen. Vor diesem Ärgernis steht heute und in Zukunft nahezu jeder, der eine Lebensversicherung abgeschlossen hat. Erzielten Kunden vor Jahren noch Traumrenditen, erweist sich das einstige Rennpferd der Branche zunehmend als lahmer Gaul. Kein Wunder, dass Verbraucherschützer und der Bund der Versicherten von Neuabschlüssen abraten. Doch darf man es sich wirklich so einfach machen und ein Produkt verteufeln, dass sich über Jahrzehnte hinweg als äußert solide erwiesen hat?

Sicherheit vs. Rendite

Die Antwort auf diese Frage richtet sich danach, was man erwartet. Eine hohe oder eine sichere Rendite. Für die Mehrheit der Versicherungsnehmer dürfte der zweite Aspekt ausschlaggebend sein. Denn Sicherheit zählt nach wie vor zu den Eigenschaften, die sich Verbraucher von einer Geldanlage wünschen. Und nichts anderes ist eine Lebensversicherung: Eine um den Risikoschutz erweiterte Investition.

Dass es im Moment mit der Rendite hapert, liegt nicht daran, dass die Versicherer nicht wollen. Sie stehen vor dem gleichen Problem wie jeder andere Sparer: Der Niedrigzinsphase. Neuanlagen in mehrjährige Anleihen höchster Güte sind derzeit äußerst schwach auf der Brust und allzu riskante Manöver im Sinne der Kunden vom Gesetzgeber her ausgeschlossen. An dieser Stelle schließt sich der Teufelskreis. Weniger Gewinn heißt geringerer Überschuss heißt weniger Geld für die Kunden. Damit ist das Thema allerdings noch längst nicht erledigt. Denn Lebensversicherungen sind deutlich komplizierter gestrickt als ein Sparplan mit variablem Zins. Dafür sorgen unter anderem die teils 40 Jahre währenden Zinsversprechen und die gesetzlichen Rahmenbedingungen.

Der entscheidende Unterschied: Kapitallebensversicherungen arbeiten mit einem Garantiezins. Er gilt für den Sparanteil der Prämie und die gesamte Laufzeit, vom ersten Tag bis zur Auszahlung. In den Jahren 1994 bis 1999 standen 4,00 Prozent pro anno zu Buche. Mit Blick auf die aktuellen Verhältnisse ein Wert, der völlig unrealistisch scheint. Nichtsdestotrotz sind die Unternehmen an das Versprechen gebunden. Im Laufe der Jahre wurde der garantierte Zins immer weiter nach unten korrigiert:

 

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Quellen:

 

Da durch den Beschluss des Bundesfinanzministeriums (BMF) also der Garantiezins (Höchstrechnungszins) für klassische Lebens- und Rentenversicherungen zum 01.01.2017 von 1,25 Prozent auf 0,9 Prozent gesenkt wurde, stehen dem Verbraucher zum Ende der vereinbarten Vertragslaufzeit deutlich weniger garantiertes Kapital zur Auszahlung zur Verfügung:

Senkung des Garantiezinses bei Lebensversicherungen

Sinkende Überschüsse

Sparer profitieren davon, dass der Garantiezins bestehender Verträge nicht angetastet werden darf. Hier gilt, „versprochen ist versprochen und wird auch nicht gebrochen“. Beim Überschuss hingegen, der zusätzlich zum Rechnungszins gezahlt wird und einst für rundum zufriedene Kunden sorgte, ist der Einsatz des Rotstiftes gestattet. In den Vertragspapieren wird der Überschuss nicht garantiert, sondern lediglich prognostiziert. Nimmt man nun sämtliche Posten, die dem Kunden gutgeschrieben werden, zeigt sich ein klarer Abwärtstrend. Die Gesamtverzinsung lässt Jahr für Jahr nach. Nur noch wenige Unternehmen schaffen es im Niedrigzinsumfeld, die Werte zumindest stabil zu halten. Das macht sich am Ende der Laufzeit in Euro und Cent bemerkbar. Beachtet werden muss dabei, dass es sich bei den Daten um Momentaufnahmen handelt. Steigen die Zinsen an den Kapitalmärkten, sollte es auch bei den Lebenversicherern langsam wieder bergauf gehen.

Versicherer* 2012 2013 2014 2015 2016 2017 2018 2019 2020
Garantiezins 1,75 1,75 1,75 1,25 1,25 0,9 0,9 0,9 0,9
AachenMünchener 4,2 3,75 3,5 3,25 3 2,6 2,3
Allianz 4 3,6 3,6 3,4 3,1 2,8 2,8 2,8 2,5
Alte Leipziger 3,85 3,35 3,35 3,05 3,05 2,65 2,6 2,6 2,35
ARAG 3,5 3,5 3,25 2,8 2,7 2,3
Asstel 3,8 3,5 3,3
AXA 3,8 3,65 3,4 3,4 3,1 2,9 2,9 2,9 2,9
Barmenia 4 3,75 3,25 3 2,75 2,4 2,15 2,15
Bayern Versicherung 3,5 3,1 3 3 2,8 2,25 2,25
Concordia 4 3,6 3,5 3 2,7 2,5 2,5
Condor 3,85 3,5 3,2 2,9 2,75 2,45 2,4 2,4 2,2
Continentale 4,15 3,85 3,5 3,25 3 2,7 2,5 2,5
Cosmos Direkt 4,05 3,85 3,65 3,4 3 2,6 2,3
DBV 3,8 3,65 3,4 3,4 3,1 2,9 2,9 2,9
Debeka 4,1 3,7 3,6 3,4 3,1 2,75 2,5
Deutsche Ärzteversicherung 4,05 3,85 3,55 3,55 3,1 3,05 3,05
DEVK Allgemeine 4,1 4 3,5 3 2,7 2,3 2,3 2,5 2,5
Deutscher Ring 4 3,5
ERGO 3,8 3,2 3,2 2,7 2,7 2,25 2,05 2,05 2,05
ERGO direkt 4 3,8 3,4 3,2 3,2 2,75 2,75 2,5
Europa 4,35 4 3,75 3,5 3,25 3 2,8
Generali 3,6 3,5 3,15 2,9 2,25 1,75 1,25
Gothaer 3,8 3,5 3,3 3,1 2,5 2 1,8 1,8 1,8
HanseMerkur 4 3,65 3,4 3,05 2,6 2,2 2 2 2
HDI 3,5 3,25 3 2,5 2,2 2 2
Heidelberger Leben 4 4 4 3,25
IDEAL 4 4 4 4 3,7 3 3 3,3 3,3
Inter Lebensversicherung 3,75 3,6 3,3 3 2,75 2,5 2,5
InterRisk 4,4 4,05 3,85 3,4 3,2 2,8 2,65
LVM 4 3,75 3,5 3,25 3 2,65 2,4 2,4
LV von 1871 3,5 3,2 3,2 3 2,75 2,55 2,4 2,4 2,4
Mecklenburgische Lebensversicherung 4 3,8 3,5 3,25 3 2,75 2,35
Neue Bayerische Beamten 3,8 3,8 3,6 3,6 3,3 3,05 2,75 2,75
neue Leben 4,2 3,75 3,5 3,25 2,85 2,4 2,3
Nürnberger Leben 4 4 3,75 3,25 3 2,75 2,5 2,5 2,25
PB Leben 4,2 3,8 3,6 3,3 2,75 2,25 2,25
Provinzial Rheinland 3,5 3,3 3,1 3 2,7 2,5 2,5
R+V 3,85 3,6 3,4 3,2 3 2,7 2,6 2,6 2,3
Stuttgarter 4,2 4 3,6 3,3 2,8 2,3 2,3 2,3 2
Swiss Life 3,5 3,3 3 3 2,25 2,25 2,25 2,25 2,25
TARGO Leben 4,6 4,3 4 3,7 3,1 2,8 2,8 2,8
universa 3,5 3,5 3,5 3,25 2,75 2,25 2,25
Versicherungskammer Bayern 3,5 3,1 3 3
VGH Provinzial Hannover 4 3,5 3,25 3 3 2,5 2,5 2,5
VHV 4 3,75 3,5 3 2,75
Victoria 3,5 3 3 2,5 2,5 2,05 2,05 2,05 2,05
Volkswohl Bund 4,05 3,65 3,65 3,25 2,9 2,55 2,4
WGV 4 3,7 3,5 3,25 2,75 2,6 2,4
Württembergische 3,5 3,25 3,25 3 2,75 2,4 2,4 2,4
WWK 3,3 3,3 3,25 2,75 2,25 1,9 1,9
Zurich Deutscher Herold 3,35 3 3 2,8 2,3 2,1 2,1
Quelle: cecu.de, Stand Januar 2020, Freie Felder bedeuten fehlende Angaben, *Ausgewählte Versicherer, Angaben in Prozent

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Hochverzinste Papiere im Bestand

Angesichts der vielen negativen Werte stellt sich die Frage: Wie schaffen es die Unternehmen überhaupt noch, die Garantien zu bewerkstelligen? Hier kommt den Assekuranzen die langfristige Anlage zugute. Ältere Anleihen – zu denen sich noch weitere Investitionen wie Immobilien und Aktien gesellen – werden deutlich höher verzinst als neue Papiere und sorgen für Stabilität. Mittlerweile hat sich die Rendite unter Null entwickelt.

 

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Quellen:

Mehr Schein als Sein: Die Bewertungsreserve

Doch auch an dieser Front braut sich seit einigen Jahren ein schweres Gewitter zusammen. Stichwort: Bewertungsreserve. Dabei handelt es sich um die Differenz vom einstigen Kaufpreis zum aktuellen Börsenwert der Anleihen. Da gut verzinste Papiere gefragt sind, stehen sie entsprechend hoch im Kurs und sorgen für augenscheinlich hohe Reserven. Daran müssen Versicherungsnehmer sowohl bei auslaufenden als auch bei gekündigten Verträgen zur Hälfte beteiligt werden. „Heute führt die pauschale Vorgabe dazu, dass Lebensversicherer in Zeiten historisch niedriger Zinsen und insgesamt sinkender Kapitalerträge hohe Sonderausschüttungen an abgehende Verträge auskehren müssen. Der Versichertengemeinschaft gehen so für die Zukunft fest eingeplante Mittel verloren“, schreibt der Gesamtverband der Deutschen Versicherungswirtschaft. Das hat Konsequenzen. „Die fünf Prozent jährlich abgehenden Kunden bekommen mittlerweile mehr an Bewertungsreserven als das, was die 95 Prozent verbleibenden Kunden an laufenden Überschüssen erhalten“, so der GDV. Ein weiteres Problem: Bewertungsreserven sind Scheinreserven. Zum Ende der Laufzeit steht immer eine Null.

Im Juni 2018 beschloss der Bundesgerichtshof, dass sich Versicherungsnehmer an den Bewertungsreserven in einer Lebensversicherung beteiligen müssen. Die aktuelle Regelung dient dem angemessenen Ausgleich zwischen den Interessen ausscheidender und im Versichertenkollektiv verbleibender Versicherungsnehmer.

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Teure Zinszusatzreserve

Ein zweites Loch, das sich öffnet, ist die Zinszusatzreserve. Sie ist laut der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) zu bilden, wenn der Referenzzins den höchsten Rechnungszins im Bestand unterschreitet. Als Referenz dient der Zinsdurchschnitt topbewerteter europäischer Anleihen der vergangenen zehn Jahre. Gesellschaften, die Verträge mit einer Zinsgarantie über dem Vergleichswert im Bestand hatten, mussten also eine Reserve aufbauen. Das macht sich beim Zinsergebnis der Unternehmen bemerkbar. In der BaFin-Statistik „Erstversicherungsunternehmen und Pensionsfonds“ wird der Zusammenhang erklärt: Das Zinsergebnis ist stark zurückgegangen. Ursächlich dafür ist der Aufwand für die Zinszusatzreserve. Dass die übrigen Ergebnisse bei den Kapitalanlagen positiv auffallen, liegt aus Sicht der BaFin an der Realisierung der Bewertungsreserven.

Gut aufgestellte Substanzkraftquote

Diese Kennzahlen spiegeln zumindest in groben Zügen wider, wie sich die Branche durch die Niedrigzinsphase bewegt. Wie es um die einzelnen Gesellschaften bestellt ist, geht aus diesen Daten nicht hervor. Für diese Zwecke gibt es die Substanzkraftquote. Sie wird nach folgender Formel ermittelt (Quelle: Focus Money 42/2012):

Substanzkraftquote = Berechnunger der Substanzkraftquote
  • Eigenkapital: Die Unternehmen sind dazu verpflichtet, insbesondere seit die EU mit Solvency II neue Vorschriften formuliert hat, die Risiken mit Eigenkapital zu unterlegen.
  • Freie RfB: Die Überschüsse werden dem Kunden nicht direkt, sondern größtenteils zeitverzögert gutgeschrieben. Die RfB soll Schwankungen bei den Überschüssen ausgleichen.
  • Deckungsrückstellung: Die Deckungsrückstellung ergibt sich aus den eingezahlten und verzinsten Kundengeldern.

Je höher die Substanzkraftquote, desto besser für den Kunden. Denn mit der Substanzkraftquote steigt die Wahrscheinlichkeit, dass ein Unternehmen in der Lage ist, die prognostizierten Erträge zu realisieren.

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Schwere Zeiten erfordern kreative Maßnahmen

Eines geben die Zahlen, Daten und Fakten allerdings nicht preis: Ob es sich angesichts der Niedrigzinsphase noch lohnt, eine Lebens- oder auch Rentenversicherung abzuschließen. Die drohende Absenkung des Garantiezinses und die schwächelnde Überschussbeteiligung sprechen eher dagegen. Gar nicht vorzusorgen und die Lebensversicherung komplett abzuschreiben, kann allerdings auch nicht der richtige Weg sein.

Noch sind die Deutschen durchaus bereit, eine Police zu unterschreiben. Allerdings werden es von Jahr zu Jahr deutlich weniger Verträge im Bestand, wie die folgende Statistik zeigt.

 

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Quellen:

Lebensversicherungen nicht kündigen!

Nach dieser Betrachtung kommen wir nicht umhin, noch einige Aspekte für bestehende Lebensversicherung näher zu beleuchten. Wichtig: Trotz der anhaltenden Kritik an der Kapital-Lebensversicherung sollten Versicherte ihre Verträge nicht vorzeitig kündigen. Das gilt speziell für Altverträge mit garantierten Verzinsungen von 3,50 bis 4,00% (vor 2004). Gegenwärtig fehlen hier Alternativen mit ähnlich positiven Rendite-Chancen. Wer hingegen eine kürzlich abgeschlossene Lebensversicherung kündigt, muss unterm Strich mit einem deutlichen Verlust rechnen.

Lebensversicherungen verkaufen

Besser geeignet als eine Kündigung ist ein Verkauf der Lebensversicherung. Unter bestimmten Bedingungen (Mindestrückkaufswert, -restlaufzeit) erzielen Versicherte auf dem Zweitmarkt eine deutlich höhere Auszahlung.

Lebensversicherungen beleihen (Policendarlehen)

Für Versicherungsnehmer mit kurzfristigem Finanzbedarf bietet sich alternativ die Beleihung ihrer Lebensversicherung an. Insbesondere im Vergleich mit klassischen Ratenkrediten macht der Versicherte ein eher günstiges Geschäft. Die Zinsen sind niedrig, da die Police als Sicherheit hinterlegt wird und die Schufa-Anfrage entfällt ebenso wie der sonst obligatorische Bonitäts-Check. Weiterer Vorteil: Der Versicherungsschutz bleibt bestehen.

Wie erwähnt, gilt: Vieles ist eine Momentaufnahme! Bei Lebensversicherungen, die noch über eine lange Laufzeit verfügen, sollte Ruhe bewahrt werden – insbesondere, wenn die finanzielle Substanz des Versicherungsunternehmens stimmt.

Autor: André Maßmann

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